Bei meinen Ausflügen in die unmittelbare Umgebung von Moabit entdeckte ich da, wo sich der Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal zum Nordhafen verbreitert und die Angler ihre Ruten übers Wasser halten, unter Bäumen einen Findling mit Gedicht:
Pflanz einen Baum!
Und kannst du auch nicht ahnen,
Wer einst in seinem Schatten tanzt,
Bedenke Mensch, es haben deine Ahnen,
Eh sie dich kannten,
Auch für dich gepflanzt!
Max Bewer heißt, wie der Findling selbst verrät, der mir bislang unbekannte Dichter. Ein bisschen Recherche ergibt schnell, dass er 1861 in Düsseldorf geboren wurde, 1921 in Meißen starb und auf dem Dresdener Johannisfriedhof bestattet ist, wo ihm 1923 auch ein Denkmal gesetzt wurde. Seine Gedichte sind online in etlichen Zitatsammlungen zu finden und sind ins deutsche Liedgut eingegangen (Laubegastlied, Ahrlied).
Informiert man sich ein wenig genauer, erfährt man, dass sein Leben und seine Werke von drei Themen beherrscht waren: der Verehrung der deutschen Klassiker, der Verherrlichung von Otto von Bismarck und einem glühenden Judenhass. So versucht Bewer in seiner 1907 veröffentlichten Schrift »Der deutsche Christus« allen Ernstes den Nachweis zu führen, dass Jesus niederrheinischer Arier und Antisemit gewesen sei. Schon zuvor hatte er als Anhänger der Ritualmordlegende behauptet, die Juden benötigten Blut von Christenkindern, um damit im Rahmen einer Art von homöopathischer Therapie die Reinhaltung ihrer Rasse zu befördern. Wer mehr über den völkisch-antisemitischen Dichter erfahren möchte, findet in der Wikipedia einen ausführlichen Artikel.
Es ist nicht in Erfahrung zu bringen, wann dieser Stein hier am Nordhafen – vermutlich feierlich – eingeweiht wurde. Eine E-Mail an das »Amt für Planen und Genehmigen des Bezirks Mitte«, das beim Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung angesiedelt ist, brachte keine Aufklärung: in den Akten sei nichts zu finden und auch ältere Mitarbeiter des Grünflächenamts könnten keine Auskunft erteilen.
Nachtrag Februar 2017
Aus der Antwort auf eine kleine Anfrage in der BVV Mitte geht hervor, dass der Stein zwischen 1956 und 1960 in den Park verbracht wurde. Anlass sei die Spende einer Birke gewesen, unter der der Findling mit der Inschrift niedergelegt wurde.
Aus der Verwendung des Verbs „verbringen“ schließe ich, dass der Findling samt Inschrift schon zuvor irgendwo stand und nicht erst zum Zeitpunkt der „Verbringung“ an diesen Ort mit der Inschrift versehen wurde.
Interessant. Ich mag Findlinge. Die Verse gefallen mir (in einer Zeit, wo Entscheidungsträger oft nur bis zur nächsten Wahl denken) ebenfalls. Darf man derartige Objekte auch ohne biographische Recherchen betrachten?
Das bleibt dir natürlich überlassen. Ich habe das Gedicht ja auch erst einmal ganz unbefangen gelesen. Dass die Recherche nach dem Autor dann die dargestellten Erkenntnisse zu Tage förderte, schmälert die Freude über den Findling (zumindest bei mir) erheblich.
bei mir ganz eindeutig auch. Die Geschichte des Naturschutzes ist leider voll von braunen Protagonisten.
Wer ernsthaft über Nachhaltigkeit nachdenkt beziehungsweise nachdachte, hat mit mir schon mal eine Gemeinsamkeit, unabhängig davon, ob es 1000 Themen gibt, zu denen sich unsere Meinung unterscheidet.
Jedenfalls Dank für die Info einschließlich der Hintergrundrecherche. Ein bemerkenswertes Objekt ist es allemal. Sonst wärs ja wohl auch in diesem Blog nicht bemerkt worden.
Tatsächlich: das Gedicht an sich hat seinen Wert. Das “Schaffen” des Autors schlägt mir allerdings mindestens ebenso auf den Magen, wie die vor wenigen Tagen am einst schönen Nordhafen gefällten wenigstens 25 Bäume… 🙁
Die meisten anderen Bäume meinte man zurechtstutzen zu müssen – offenbar glauben hier Menschen wieder einmal, sie wüßten besser wie ein Baum zu wachsen habe, als der Baum selber. Kein Respekt vor der Natur und keiner vor den Menschen, die gerne mit ihr leben möchten.
Die Zeiten, wo man am Nordhafen sogar einen Eisvogel beobachten konnte sind wohl endgültig vorbei.
Jetzt gab es eine Kleine Anfrage in der BVV und der Stein soll ins Mitte Museum gebracht werden! Das finde ich wirklich die schlechteste aller möglichen Lösungen. Besser wäre es eine Infotafel zu dem Autor daneben aufzustellen und über seinen Hintergrund aufzuklären. Er war ja einer der schärfsten völkischen Antisemiten, der in seiner Zeit noch die Ritualmordthese wieder aufwärmte. Und es könnte auch nicht schaden etwas über Zusammenhänge in der Naturschutzbewegung mit völkischen Gedankengut zu lernen.
http://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=2566
Trotzdem: Das Gedicht gefällt mir immer noch – mit leichten Bauchschmerzen!
Danke für die Information, um die ich den Beitrag ergänzt habe. Eine Infotafel wäre nicht schlecht, würde aber sehr wahrscheinlich dem allgegenwärtigen Vandalismus zum Opfer fallen.