Kohlenwäsche mit Besucherzentrum
Die Zeche Zollverein behauptet von sich selbst, die schönste und modernste Zeche des Ruhrgebiets gewesen zu sein. Das mag ich nach einem Besuch dort wohl glauben und finde, dass sie dem Anspruch, die schönste zu sein, ganz sicher gerecht wird, vor allem, nachdem der Kohlenstaub weggeräumt wurde und die Gebäude alle aufs feinste herausgeputzt wurden (und immer noch werden).
Das Gelände der Zechenkomplexes, den die Unesco 2001 in den Rang des Welterbes erhoben hat, ist riesig und besteht aus drei Teilen: der eigentlichen Zeche rund um Schacht XII, dessen Förderanlage zum Wahrzeichen von Zollverein und der europäischen Kulturhauptstadt Essen geworden ist, der Kokerei Zollverein und dem Zechengelände rund um Schacht 1/2/8.
Kathedrale des Fleißes: Kesselhaus flankiert von Kompressorenhäusern
Wahrlich grandios tritt auf dem aufgeräumten Gelände um Schacht XII die in Stahlfachwerk ausgeführte Architektur auf, die durch ihre besonders schlichte Ausführung, die ganz dem Gedanken »Form follows function« folgt, eine ganz besondere Schönheit ausstrahlt. Architekten dieses 1930 fertiggestellten Ensembles waren Fritz Schupp und Martin Kremmer. Im riesigen Gebäude der frühere Kohlenwaschanlage befindet sich heute u.a. das Besucherzentrum und das Neue Ruhrmuseum. Es empfiehlt sich nicht, hier gleich um 10 Uhr morgens aufzutauchen, da zur Öffnungszeit Busladungen mit Schulklassen ankommen, die für rund eine halbe Stunde für heftigen Lärm und lange Schlangen sorgen.
Will man die technischen Anlagen besuchen, um zu verstehen, was hier mit der Kohle gemacht wurde, und auch auf den höchsten Punkt des Gebäudes, von wo aus man einen tollen Ausblick über die gesamte Zeche haben soll, muss man die geführte Tour »Denkmalpfad Zollverein« buchen, was man am besten im Voraus unter der unten angegeben Telefonnummer macht, da diese Touren gerade im Jahr der Kulturhauptstadt oft ausverkauft sind. Auf jeden Fall sollte man aber einmal über das Gelände laufen, um sich die bestechende Industriearchitektur anzuschauen.
Schon viel ruhiger ist es auf dem Gelände der Kokerei, die sich ebenfalls in gewaltigen Ausmaßen präsentiert. Sie wurde erst in den 1960er Jahren gebaut, Architekt war auch hier Fritz Schupp, der die klare Formensprache von Schacht XII fortsetzte. Auf der Schwarzen Seite reihen sich mehrere Batterien mit insgesamt 304 Koksöfen über eine Länge von fast einem Kilometer aneinander, die aus riesigen Förderanlagen und Bunkern für die Kohle aus der nebenan liegenden Zeche ernährt wurden. Jenseits der sechs großen Schornsteine, die der Abfuhr der Verbrennungsgase aus der Heizung der Koksöfen diente, schließt sich die Weiße Seite der Kokerei an, die der chemischen Verwertung der Nutzgase diente, die bei der Verkokung entstehen. Die Koksöfenbatterien selbst haben wiederum zwei Seiten: die Koksseite, auf der der fertige Koks den Ofen verlässt und zum Löschturm gefahren wird, und die Maschinenseite, auf der die riesigen Drückmaschinen den fertigen Koks aus dem Ofen drücken.
Das alles und noch viel mehr, nämlich wie hier aus Kohle Koks hergestellt wurde, erfährt man auf einer empfehlenswerten Führung durch die Kokerei (Anmeldung in der Mischanlage der Kokerei). Hier hat man die Chance, durch das Innere der früheren Koksöfen zu laufen und die Funktion der Öfen und und ihrer Beheizung – alles sauber aus speziell geformten Schamottsteinen gemauert – erklärt zu bekommen. Nur 45 cm breit ist ein einzelner Koksofen, dafür aber rund sechs Meter hoch und dreizehn Meter tief, was für die Aufnahme von zig Tonnen Kohle reichte, die von der Ofendecke aus mit einem Füllwagen über mehrere Öffnungen eingebracht wurde. Das schönste Wort, das ich hier gelernt habe, ist Kokskuchenführungswagen – er nimmt auf der Koksseite den fertigen Koks auf, den die Drückmaschine auf der Maschinenseite aus dem Koksofen drückt.
Die Ausstellung „Palast der Projekte“ des russischen Künstlerpaares Ilja und Emilia Kabakov im ehemaligen Salzlager der Kokerei war leider wegen der Vorbereitungen für eine Veranstaltung nicht zugänglich. Ich kann das nicht ganz verstehen: Warum muss man, wenn man auf Zollverein schon etliche Hallen hat, um Ausstellungen und Veranstaltungen durchzuführen, ausgerechnet eine weltbekannte Dauerausstellung wochenlang schließen? Ebenso – jedoch eher dauerhaft – geschlossen präsentierte sich leider das Sonnenrad, mit dem man eigentlich durch und über die Kokerei hätte schweben können.
Zwischen dem Gelände von Schacht XII und der Kokerei liegt auf den früheren Bergehalden der Zeche der Skultpurenwald, in dem sich einige der wunderbaren Skulpturen aus Granitblöcken von Ulrich Rückriem befinden – die meisten versteckt im Wald, die größte – das Castell – auf einer Freifläche, dem ehemaligen Absetzbecken.
An einem Tag kann man unmöglich das ganze Gelände erkunden, geschweige denn, das große Angebot an Führungen und Ausstellungen wahrnehmen. So blieb auch mir leider keine Zeit, die Anlagen auf Schacht 1/2/8 zu erkunden. Spätestens nachmittags um vier stellt sich darüber hinaus bleierne Müdigkeit in den Beinen ein, vor allem, wenn die Sommersonne erbarmungslos auf den Besucher herabbrennt. Da empfiehlt sich das Aufsuchen einer der Restaurationsmöglichkeiten (Restauration in des Wortes ursprünglicher Bedeutung tut dann auch not). Besonders wusste das Café Kokerei Zollverein zu überzeugen.
(Die Stiftung Zollverein erlaubt das Fotografieren auf ihrem Gelände nur für rein privaten Gebrauch und verlangt die vorherige Genehmigung für alle anderen Zwecke. Die Veröffentlichung der Bilder in diesem Artikel erfolgt mit Genehmigung der Stiftung).
Da kann ich nur den Hut ziehen: Es ist erreicht! Klasse Fotos!
Ein erstklassiger Beitrag mit ebensolchen Fotos. Vielen Dank dafür, so bekomme ich die Zeche auch einmal zu sehen.
Lehrreich, danke. Und macht richtig Lust auf Zechen.
“Auf Zeche” war die Bezeichnung für den Arbeitsplatz der Bergleute. Für mich, als Bergmannskind, ist der Klang des Wortes mit viel Bedeutung aufgeladen, was mir angesichts des Berichtes wieder ein- und aufgefallen ist.
Zeche bedeutete z.B. Innehalten in allem, was gerade getan wurde, wenn die Sirenen jaulten, die Angst, die dann im Gesicht der Mutter zu lesen war, Leisesein wenn Papa schlief, weil er nach der Frühschicht schlafen musste, immer wieder erschrecken über die blauschwarzen Narben auf Papas Oberkörper, mit allen Nachbarn “verwandt” sein in der Zechensiedlung, der Konsum neben der Zeche, in dem die Tüte Eisbonbons pro Monat gekauft wurde, die Mitschüler, deren Väter alle den gleichen Beruf hatten, nicht zuletzt das Wort Zechensterben, was große Verunsicherung in die Bergmannsfamilien trug.
Heute weiß ich, auch das war Kultur. Jetzt ist sie bis auf einen kleinen Rest verschwunden, ersetzt durch eine intellektuelle in den Kulissen der Arbeit. Von den Menschen, die dort sehr hart arbeiten mussten, oftmals unter Einsatz ihres Lebens, häufig 14 Stunden am Stück, als Hauer auf den Knien vor Kohle, viele mit Staublungen oder Lungen-Emphysemen, an denen sie vorzeitig starben, ist selten die Rede.
Für mich war das nach dem Lesen und den ästhetischen Bildern alles wieder präsent.
Karu, daß die Arbeitswelten sich verändern, ist ein Verlust von Kultur und Identität. Wir reagieren auf den Wandel mit Konservieren, Musealisieren, vielleicht auch Idealisieren dessen, worauf wir noch Zugriff haben.
Ich habe das in der Völklinger Hütte ganz deutlich gespürt: aus den Interviews mit den alten Hüttenarbeitern, die man sich dort anhören kann, sprach eine Identifikation mit der Arbeit, die ich heute nur noch bewundern und bestaunen kann. Viele sollen nach Eröffnung des Museums gesagt haben, sie wollten nicht mehr hin, das sei nicht mehr »ihre Hütte« …
Was die Arbeit in der Montanindustrie bei all ihrer Schwere und Härte auch für eine Kultur hervorbrachte, kann man in Deinem Kommentar lesen. Ich will sie sicher nicht idealisieren, aber wenn ich darüber nachdenke, muß ich doch meinen Lebensentwurf in Frage stellen. (Nein, ich will nicht nächste Woche im Stahlwerk anfangen, aber das Wort »Drecksarbeit« kommt mir nicht mehr leicht über die Lippen.)
Hallo,
schöne Zusammenstellung von “Highlights” für Ruhr2010.
Ich selbst war vor kurzem in der Zeche Zollverein und kann dort vor allem das Ruhrmuseum empfehlen. Der Rundgang beginnt mit der Gegenwart im Ruhrgebiet und führt den Besucher danach immer weiter in die Vergangenheit dieser Region zurück. Wer sich also für Geschichte interessiert, der ist hier genau richtig.