Sauerbier

Die Tatsache, dass saures Bier gemeinhin als verdorben gilt, hält eine gar nicht so kleine Minderheit nicht davon ab, Bier herzustellen, zu dessen Wesen es gehört, von vornherein sauer zu sein. Dazu zählt nicht nur die Leipziger Gose und die Berliner Weiße, deren einzige noch verbliebene Variante unter dem Namen Berliner Kindl Weiße von der Radeberger Gruppe in den Handel gebracht wird. Meistens ist sie auch gleich mit Sirup versetzt (“mit Schuss”), denn saures Bier trifft nicht den Mehrheitsgeschmack. Ob mit oder ohne – wirklich gut schmeckt mir diese Weiße nicht, und ich empfehle, stattdessen gleich die Potsdamer Weiße zu genießen, was auch sehr gut ohne Schuss geht.

Oude GeuzeDie wahren Meister des sauren Biers sind aber die Belgier. Eine Variante ist die Geuze, ein Bier, das im engeren Sinne gar nicht gebraut wird, sondern aus einem gebrauten Vorprodukt, dem Lambic (auch Lambiek oder Lambik), hergestellt wird. Ursprünglich geschah das auch nicht in einer Brauerei, sondern oblag einem separaten Beruf, dem des Geuzestekers.

Lambic ist ein Bier, das seit etwa 1300 in einem recht eng begrenzten Gebiet südwestlich von Brüssel, dem Pajottenland und im Tal der Senne, gebraut wird. Anders als beim „normalen“ Bier wird hier keine Brauhefe verwendet, sondern es wird bei der Spontangärung auf die Mitwirkung der Hefen gesetzt, die in der Umgebungsluft vorkommen. Dazu wird die heiße Bierwürze in einen großen, flachen, offenen Kupferbottich, das „Kühlschiff“ (koelschip), gefüllt, um sie abzukühlen und gleichzeitig für eine Nacht der Außenluft auszusetzen. Nur im Pajottenland und im Sennetal sind dabei die entscheidenden Hefen Brettanomyces lambicus und Brettanomyces bruxellensis anwesend, weswegen das echte Lambic nur hier hergestellt werden kann.

Gebraut wird Lambic aus Gerstenmalz, ungemälztem Weizen und Hopfen. Es wird relativ viel Hopfen verwendet, um das Bier haltbar zu machen; damit es dadurch nicht zu bitter wird, wird mindestens drei Jahre alter Hopfen eingesetzt. Die Gärung erfolgt in Eichenfässern – meistens in ausgedienten Weinfässern –, in denen das Bier mehrere Jahre verbleibt. Die bei der Gärung entstehende Kohlensäure entweicht durch das Holz, weswegen Lambic keine Schaumkrone bildet.

Zurück zur Geuze: Sie wird aus verschiedenen Lambics verschnitten, und zwar in der Regel aus einem alten – zwei oder drei Jahre gelagert –, der wegen seiner Reife den Geschmack bringt, und einem jungen – rund sechs Monate alt –, der noch gut in Gärung ist und die Hefen mitbringt, die für die zweite Gärung auf der Flasche erforderlich sind. Dabei wird, wie bei der Umwandlung von Wein in Sekt, Lambic in Geuze verwandelt. Weil bei der Flaschengärung ordentlich Kohlensäure entsteht, kommt die echte Geuze auch in einer soliden Flasche mit gesichertem Korken in den Verkehr, ähnlich verpackt also wie ein Champagner, allerdings meistens in der halben Flasche (0,375 Liter), obwohl auch das normale Maß (0,75 l) zumindest in Belgien durchaus in Umlauf ist.

Haltbar bis 2031So geschützt kann sie wie ein guter Wein ruhig ein paar Jahre lagern, sie wird dabei immer besser und feinperliger. Manch einer sagt, dass man sie 20 Jahre liegen lassen kann. Trotzdem stutzte ich, als mein Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum fiel. So lange darf in der EU nichts haltbar sein, auch wenn es so lange hält. Im Versandhandel entdeckte ich allerdings gut gelagerte Flaschen, zum Beispiel eine von 1984 für den stolzen Preis von 145 €.

Die oben abgebildete Flasche ist ein Geschenk, dank Eigenimports des Schenkenden sozusagen handgerüttelt. Jetzt darf sie sich erst mal vom Transport erholen, die Hefe muss sich wieder setzen und zu einem Depot reformieren. Wenn ich das Mindesthaltbarkeitsdatum bedenke, lass ich sie sowieso erst mal ein paar Jährchen lagern, bevor sie zur Verkostung geöffnet werden darf. Also müsst ihr Euch noch ein wenig gedulden, bevor hier eine ausführliche Besprechung der sensorischen Qualitäten des kostbaren Inhalts erfolgt: Geduld a.u.b – Patience s.v.p.

P.S.: Manchem wird aufgefallen sein, dass ich öfter den Begriff „Echte Geuze“ verwendet habe – der Belgier benutzt dafür den EU-weit geschützten Begriff „Oude Geuze“, um deutlich zu machen, dass diese Geuze nach dem traditionellen Verfahren hergestellt wurde. Es gibt nämlich auch noch die Industrie-Geuze, die eher ein Fake ist und zumeist von Brauereien hergestellt wird, die den großen Getränkekonzernen anheim gefallen sind. Hier findet die zweite Gärung nicht in der Flasche statt, das Bier wird gesüßt, und die Kohlensäure kommt aus dem Chemiewerk. Erkennen kann man sie an den kleineren Flaschen (0,25 l), die mit Kronkorken verschlossen sind. Ein einzelner Brauer verweigert sich allerdings der Etikettierung seines Produkts als Oude Geuze, er nennt es schlicht Geuze, denn das andere sei eh keine Geuze.

Wer mehr über Lambic und Geuze wissen möchte, der sei an folgende Seiten verwiesen: Het mysterie von Lambik (in niederländisch und französisch) und Lambic and Wilde Ale (englisch).

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13 Antworten auf „Sauerbier“

  1. Informativ ja.
    Ansonsten hab ich den Eindruck, dass hier Sauerbier wie Sauerbier angeboten wird. Es muss ja nicht unbedingt Bier, gebraut nach dem Deutschen Reinheitsgebot sein, dass ich trinke, aber Sauerbier brauch’ ich nicht.

  2. Da entgeht dir aber etwas … Und das altbackene “Reinheitsgebot” ist eher eine Vorschrift, die dafür sorgt, dass in Deutschland überwiegend nur noch uninteressante Biere hergestellt werden, die interessanten werden heutzutage z.B. in Italien und den USA gebraut – so der Experte, dem ich unbedingt vertraue. Auch gut zu wissen, dass die bayrischen Weizenbiere nicht dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516 entsprechen, nach dem nur Hopfen, Gerste und Wasser zugelassen ist …

    1. Hatte ich ja geschrieben, dass es nicht unbedingt Bier, gebraut nach dem Reinheitsgebot sein muß.

  3. Sehr interessanter Biertrag. Aber als Ex-Biertrinker erlaube ich mir zu erwähnen, das die US und Italia-Biere nun nicht gerade zu den Spitzenprodukten der Braukunst zählen.

    Ansonsten, Geschmackssache, wie immer in solchen Bereichen…

    1. Der Ex-Biertrinker erinnert aus vergangenen Tagen vermutlich nur an Miller, Anheuser-Busch oder Peroni und verwirft diese Biere zurecht. Tatsächlich hinkt Deutschland den spannenden aktuellen Biertrentwicklungen aber meilenweit hinterher.

      Tipp für Berliner: Im Kaufhof am Alexanderplatz den Stand von Braufactum aufsuchen und einmal Marken wie Birra Baladin, Birficio Italiana, Brooklyn Brewery oder Firestone Walker probieren.

      Die Oude Geuze von Boon gibt es dort ebenfalls.

  4. Ich trinke sehr gerne Bier, aber deine Informationen zum Thema Sauerbier waren mir völlig unbekannt. Wie interessant! Vielen Dank für die Horizonterweiterung. Bei Öffnung der Flasche am letzten Tag des MHDs werde ich 70 Jahre alt sein – eine sehr seltsame Vorstellung.

    1. Ebenso bemerkenswert finde ich, dass die Herberge ‘In de Verzekering tegen de Grote Dorst’ ein Übergabepunkt (bei Selbtsabholung) der Kostbarkeiten von ‘Het huis van de geuze’ ist.

  5. Wer von, zumal belgischem, saurem Bier schreibt, darf gerne auch flämische Rotbiere (probieren und dann) erwähnen. Rodenbach Grand Cru etwa heißt völlig zu Recht so. Erinnert mich immer ein wenig an Balsamico, in a good way.

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