Wenn man durch Lissabon schlendert, fällt schnell auf, dass etliche der alten Häuser, die oft mit einer Fassade aus schönen Azulejos versehen sind, leer stehen und dem allmählichen Verfall preisgegeben scheinen. Rund 4.700 Häuser sollen inzwischen allein in Lissabon leerstehen. Andererseits wird auch in Portugal – vor allem seit der von der EU erzwungenen Austeritätspolitik der aktuellen Regierung – der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Städten immer größer.
So verwundert es nicht, dass man immer wieder auf Anschläge mit dem Text „Tanta casa sem gente – tanta gente sem casa“ (So viele Häuser ohne Menschen – so viele Menschen ohne Häuser) trifft. Eine Hausbesetzerbewegung, wie es sie in vielen anderen europäischen Ländern gegeben hat und zum Teil noch gibt, scheint in Portugal trotzdem nicht zu existieren. Dennoch steht in Lissabon genau ein Haus, das schon zweimal besetzt wurde.
Já entraste? Espaço livre. Bem vindo! – Wörtlich: Schon eingetreten? Freier Raum. Willkommen!
Dieses Haus, das – wie ein Schild mit der Aufschrift „património municipal“ zeigt – der Stadt Lissabon gehört, steht in der Rua São Lázaro 94. Erstmalig wurde es Ende November 2010 besetzt, um genau einen Tag später von der Polizei ohne vorherige Ankündigung geräumt zu werden. Damals sprach die Stadtverwaltung wohl auch davon, dass das Haus bald instandgesetzt und vermietet werden solle.
Anderthalb Jahre ist nichts dergleichen passiert, und das Haus wurde am 25. April [sic] 2012 erneut besetzt. Nach ein paar Wochen der Besetzung wurde Ende Mai 2012 wieder geräumt, diesmal immerhin mit vorherigem schriftlichen Räumungsbescheid. Helena Roseta, die für das Wohnungswesen Zuständige in der Stadtverwaltung, begründete die Anordnung der Räumung damit, dass sie täglich Wohnungen armer Familien räumen lassen müsse und darum keine Ausnahme für die Besetzer machen könne. Was wohl erklärt, warum in großen Lettern „Roseta raus“ am Haus geschrieben steht (es steht zwar raüs dort, aber das ist sicher nur ein Spiel mit den Eigentumlichkeiten der deutschen Sprache).
Quando morar é um privilégio, okupar é um direito – Wenn Wohnen ein Privileg ist, ist Besetzen ein Recht
Die vielfältigen Aktivitäten in und um das Haus während seiner Besetzung sowie Filme von seiner Räumung sind auf der Homepage saolazaro94.blogspot.pt zu finden (eine Zusammenfassung der Ereignisse von April und Mai 2012 wird dort in einem Beitrag in englischer Sprache gegeben).
Zuweilen hört man die Forderung: Jeder, der groß neu baut, muss ein altes Haus restaurieren.
Schade, dass sich nicht mehr rumspricht, wie gut instandsetzende Besetzer alten Häusern und der sie umgebenden Stadt tun…
Traurige Entwicklung… und unbesetzte/-bewohnte Häuser verfallen viel schneller…
Das ist wirklich was zum Ärgern und Aufregen. Ich frage mich (auch nach einer aktuellen innerstädtischen Diskussion zur gewerblichen Nutzung öffentlichen Raums — was dürfen Investoren?), wieviel Verantwortung mit dem Besitz einhergeht — und wie man Besitzer zu selbiger ziehen könnte.
Konntest Du als Kenner der Berliner Entwicklungen wenigstens beratend tätig werden?
In Zürich soll das ja auch recht sinnvoll geregelt sein, hat mir ein Zürcher Freund mal erzählt. Da soll Hausbesetzung gesetzlich so geregelt sein, dass ungenutzte, leerstehende Häuser zur temporären Vermietung freigegeben werden müssen, solange das Haus nicht wieder anderweitig genutzt werden soll. Quasi „Recht auf Hausbesetzung inkl. Mietvertrag“. Ob ich das jetzt so richtig verstanden und wiedergegeben habe, weiß ich zwar nicht, aber es klang durchaus vernünftig und überraschend weitsichtig und fortschrittlich.