Der Geheime Rat war schon 1786 auf seinem Weg nach Italien hier und soll in sein Tagebuch geschrieben haben: „Das Tuchmacherstädtchen Tirschenreuth liegt gar schön“ (siehe dazu aber den Kommentar von Faktenfinder). Ganz Tirschenreuth war damals eine Insel – gelegen inmitten der mehr als 190 Hektar großen Stadtteiche, die vornehmlich der Aufzucht von Karpfen dienten. Als die Fischzucht wirtschaftlich nicht mehr lohnend war, und sich die Tirschenreuther vom Ackerbau mehr Einkünfte versprachen, legten sie die Stadtteiche im Jahre 1808 trocken. Dass damit unter anderem auch die Fischhofinsel – benannt nach dem Fischhof, dem früheren Sommersitz der Äbte des nahegelegenen Zisterzienserklosters Waldsassen – auf dem Trockenen stand, hat Herr Goethe also nicht mehr gesehen.
Aktuelle Bebauung der Tirschenreuther Altstadt mit einem Auszug aus dem Urkataster von 1849 und der ungefähren Ausdehnung der Stadtteiche um 1617
Nach 200 Jahren ist das Wasser nun wenigstens zum Teil zurück. Im Rahmen der Gartenschau 2013 wurde auf dem Gelände der Industriebrache, die an der Stelle des früheren Oberen Stadtteichs entstanden war, ein rund 6 Hektar großer neuer Stadtteich angelegt. Jetzt liegt die Fischhofinsel zwar nicht im, aber wenigstens am Wasser. Auch die 1750 fertiggestellte Fischhofbrücke, die noch vor der Gartenschau grundlegend saniert wurde, führt nun wieder über das Wasser statt über eine Wiese. Die rund 92 Meter lange Bogenbrücke aus Granit mit zehn Jochen ist der Steinernen Brücke in Regensburg nachempfunden. Entworfen hat sie Baumeister Philipp Muttone, der damalige Baudirektor des Klosters Waldsassen.
In der Mitte der Brücke befinden sich zwei Statuen aus dem frühen 20. Jahrhundert: Ceres, die römische Göttin des Ackerbaus, und Iustitia, die Göttin der Gerechtigkeit – letztere ganz passend zum Amtsgericht, das heute in den Gebäuden des Fischhofs residiert.
Jetzt, wo das Wasser zurückgekehrt ist, lag es nahe, gleich ein zweite Brücke zu bauen, die das alte Stadtzentrum über den neu geschaffenen Platz am See direkt mit dem Fischhof verbindet. Sieger eines dazu ausgeschriebenen Wettbewerbs war das Berliner Büro Annabau Architektur und Landschaft.
Die rund 88 Meter lange Holzbrücke ist als Spannbandbrücke ausgeführt. Zwei je sechs Tonnen schwere Spannbänder aus Stahl mit einen Querschnitt von ca. 50 x 2,5 Zentimetern tragen rund 1.400 Holzelemente (genau: 480 Holzbohlen und 960 Brüstungshölzer). Die Bänder sind an jedem Ende in einem Widerlager aus Sichtbeton verankert und werden in der Mitte der Brücke durch einen Sattel gestützt, der den höchsten Punkt der Konstruktion bildet. Bauartbedingt hat die Brücke bis auf die zweieinhalb Zentimeter starken Spannbänder keinen Unterbau und scheint darum über dem Wasser zu schweben.
Der Brückenkörper aus Holz nimmt – so die Architekten – Bezug auf die Verwendung dieses Baustoffs in der regionalen Architektur. Die Beweglichkeit der Spannbandbrücke (die Besucher werden beim Betreten der Brücke durch Schilder “Achtung! Brücke schwingt” gewarnt) und die vertikale Anordnung der Hölzer des Geländers erinnern – so die für die Konzeption des Tragwerks verantwortliche Ingenieurgesellschaft Schüßler-Plan – an “bewegtes Schilf am Ufer”. Obgleich technisch nicht erforderlich, entschied sich der Stadtrat nach Durchführung von Tests mit Schulklassen dafür, zusätzliche Schwingungstilger an der Unterseite der Brücke anbringen zu lassen. An den Widerlagern und der Mittelstütze angebrachte Blattfedern und Töpfe mit Spezialöl bremsen die Bewegung der Brücke.
Benannt ist das europaweit einmalige Bauwerk nach Max Gleißner, der sich viele Jahre für die Wiederherstellung der historischen Fischhof-Situation eingesetzt hat. Ohne Zweifel eine berechtigte Ehrung, denn Tirschenreuth hat mit der Rückkehr des Wassers und dem neu entstandenen Fischhofpark eine sehr schöne Parkanlage gewonnen.
Dabei wäre der Karpfen morgen wieder angesagt …
Die Brücke sieht sehr gut aus, aber mir würde beim Darübergehen schlecht.
Interessante Konstruktion dieser Brücke. Nur schade, dass die Trage-Pfeiler den Stil nicht aufgreifen.
Und offenbar schwärmt man auch in Tirschenreuth für die “harte Uferkante”. Nuja.
Das angebliche Zitat “Das Tuchmacherstädtchen Tirschenreuth liegt gar schön” stammt übrigens nicht von Goethe, sondern ist offenkundig eine Tirschenreuther Marketing-Erfindung wahrscheinlich aus den 1970er Jahren. Seitdem findet man es jedenfalls in den städtischen Prospekten und hat seither unberechtigterweise weitere Kreise gezogen. In seiner Italienischen Reise äußert sich Goethe zwar über die Stadt, aber nicht so. Über Regensburg schreibt er: “Regensburg liegt gar schön. Die Gegend musste eine Stadt herlocken;” Mit dem Internet kann das heute leicht jeder überprüfen. Faktenfinder läßt grüßen!
»Se non è vero, è ben trovato« würden die Italiener, Giordano Bruno zitierend, dazu sagen.
Alles, was Goethe auf seinem Weg nach Italien über Tirschenreuth geschrieben hat:
„In Bayern stößt einem sogleich das Stift Waldsassen entgegen – köstliche Besitztümer der geistlichen Herren, die früher als andere Menschen klug waren. Es liegt in einer Teller-, um nicht zu sagen Kesseltiefe, in einem schönen Wiesengrunde, rings von fruchtbaren sanften Anhöhen umgeben. Auch hat dieses Kloster im Lande weit umher Besitzungen. Der Boden ist aufgelöster Tonschiefer. Der Quarz, der sich in dieser Gebirgsart befindet und sich nicht auflöst, noch verwittert, macht das Feld locker und durchaus fruchtbar. Bis gegen Tirschenreuth steigt das Land noch. Die Wasser fließen einem entgegen, nach der Eger und Elbe zu. Von Tirschenreuth an fällt es nun südwärts ab, und die Wasser laufen nach der Donau. Mir gibt es sehr schnell einen Begriff von jeder Gegend, wenn ich bei dem kleinsten Wasser forsche, wohin es läuft, zu welcher Flußregion es gehört.“
Zitiert aus: Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise; Projekt Gutenberg. Die gleiche Stelle im Reise-Tagebuch (Briefe an Charlotte Stein) kann man ebenfalls im Projekt Gutenberg nachlesen.