In der Heinrich-Zille-Siedlung in Moabit gibt es außer dem Schneckenhaus noch weiteres zu entdecken. So verstecken sich hier unter den Platanen sechs Skulpturen, die über die Siedlung verstreut aufgestellt sind. Sie fallen den meisten dort Vorbeigehenden wohl nicht auf, auch ich bin an zweien von ihnen, die dicht am öffentlichen Straßenland stehen, wohl schon hunderte Male mit dem Fahrrad vorbeigefahren, ohne sie wahrzunehmen.
Die Kunstwerke, die 1982 von Michael Schoenholtz erschaffen wurden, beziehen sich auf die frühere militärische Nutzung des Geländes und auf das Ulanen-Denkmal von Joseph Limburg, das ab 1922 vor der ehemaligen Ulanen-Kaserne stand, auf deren Gelände die Siedlung errichtet wurde.
Die sechs Skulpturen haben einen ungefähr zwei Meter hohen Betonsockel, der jeweils eine Bronzeplastik trägt. Farbe und Form der Sockel – rötlich und zweistufig – sind in Anklang an das Ulanen-Denkmal gewählt. Im Laufe der Jahrzehnte ist die Farbe der Sockel verblasst, die Patina der Bronzeskulpturen wurde vom Regen auf die Sockel gewaschen, und Risse durchziehen ihre Oberfläche.
In den Sockel jeder Skulptur ist eine Bronzeplakette mit einem Literaturzitat eingelassen. Die Plastiken nehmen in abstrahierender Form Elemente des Ulanen-Denkmals auf und stellen sie – auch durch die angebrachten Zitate – in einen ganz anderen, durchaus militärkritischen Zusammenhang.
Anzumerken ist, dass der Künstler selbst keine Inschriften vorgesehen hatte. Die Auswahl der Zitate von Schriftstellern und Philosophen gehen zurück auf Volker Theissen, den leitenden Architekten der Siedlung (er ist zusammen mit René Gagès Architekt des „Langen Jammers“ im Märkischen Viertel). Auch verwendete Schoenholtz eine andere Namensgebung für die Skulpturen, seine Namen werden, soweit bekannt, in Klammern hinter den „offiziellen“ Namen angegeben.
Den Bronzeguss besorgte die Berliner Bildgießerei Hermann Noack, wie man einer Inschrift an der Plastik Waffen entnehmen kann.
Harmonie (Zerstörte Form)
Zentral an der Ecke Otto-Dix-Straße und Ecke Claire-Waldoff-Promenade steht das Objekt mit dem Titel „Harmonie“. Die Plastik zeigt ein fahnenartiges und auch ein phallusartiges Element. Plastisch herausstehende Lettern ergeben zusammengesetzt das Wort FUTURE (Zukunft).
doch wird das Meer nicht vol-
ler. An den Ort von dem
sie herfliessen fliessen sie
wieder hin
In den Fußweg vor dieser Skulptur ist eine Bronzeplatte eingelassen, die gleichsam eine Landkarte der Skulpturen darstellt, indem sie ihren jeweiligen Standort und Namen auf dem schematischen Grundriss der Siedlung angibt.
Siehe auch Lageplan weiter unten.
Leben (Traube)
Vor dem Haus Claire-Waldoff-Promenade 18 steht die Skulptur mit dem Titel „Leben“. Die Bronzeplastik zeigt ein Gebilde mit kugelartigen Elementen (eine Traube, wie der vom Künstler selbst verwendete Name angibt). Die Plakette mit der Inschrift ist leider herausgebrochen und nicht mehr vorhanden, sie trug den Text:
kann das Echte leben. und
nicht vielen ist bewusst, was
uns allen noch an Zwang zu
verlernen bleibt.
Waffen (Gegen den Krieg)
Die Skulptur an der Rathenower Straße, Ecke Otto-Dix-Straße mit dem Titel „Waffen“ scheint mir am wenigsten abstrakt, die Bronzeplastik zeigt verschiedene Objekte mit deutlich erkennbaren Formen von Bomben und Granaten.
ein Ding von dem die Men-
schen im Verlauf der Geschich-
te einsehen dass es weder
ehern noch notwendig ist
Träume (Bewohnbar)
An der Ecke von Otto-Dix-Straße und Ecke Lesser-Ury-Weg steht die Skulptur mit dem Titel „Träume“. Das Bronzeobjekt zeigt unter anderem die Lettern des Wortes SOL (Sonne) und eine symbolische Sonne mit Strahlenkranz.
Die Plakette im Sockel trägt ein Zitat des französischen Dichters Francis Ponge:
Bohnen in der Einkaufstasche
wird ein Keim in die Hoehe
schiessen die Freiheit
gruen und gespalten
Liebe (Gewächs)
Wo der Lesser-Ury-Weg auf die Seydlitzstraße trifft, steht die Skulptur mit dem Titel „Liebe“.
wie mit allmaechtigem Triebe
ein Herz das andere zieht
und dass vergebens Liebe
vor Liebe flieht
Sonne
An der Einmündung der Claire Waldoff-Promenade in die Invalidenstraße steht das Kunstobjekt mit dem Titel „Sonne“. Die Skulptur ist inzwischen fast völlig zugewuchert, nur noch die Bronzeplastik ist zu sehen, beginnt aber auch hinter den Pflanzen zu verschwinden. Die von der Hecke verborgene Plakette am Sockel soll folgenden Text tragen:
glauben dass alles unter
der Sonne gut sei
Die Sonne lehrte mich dass
die Geschichte nicht alles
ist
Ulanen-Stein
Das Ulanen-Denkmal, auf das Michael Schoenholtz mit seinen Skulpturen Bezug nimmt, steht auf der Claire-Waldoff-Promenade.
Denkmal für die Gefallenen des 2. Garde-Ulanen-Regiments.
Die Inschrift auf der Vorderseite lautet:
2. Garde Ulanen Regiments zum ehrenden Gedächtnis
dem stolzen tapferen Regiment zum Angedenken
Lageplan
Quellen
Weitere Informationen finden sich bei Bildhauerei in Berlin und bei Moabit online. Aus beiden Publikationen habe ich wesentliche Informationen bezogen.
Wow superschöne Fotos – das ist toll, da gerade bei unserem MoabitOnline-Artikel die Fotogalerien nicht mehr funktionieren. Hier auch noch ein Gespräch mit dem Künstler in seinem Atelier in Friedenau:
https://moabitonline.de/3327
Danke für den Hinweis, dass Ihr bei Moabit online einen Artikel darüber geschrieben hattet, ist mir nicht bewusst gewesen. Auf der Suche nach dem verlorenen Text bei der Skulptur „Leben“ bin ich leider auch nicht auf Euch gestoßen.
Danke für den gut bebilderten Hinweis. Ich werde das mal an “meine Berlinerin” weitergeben.
Schön, dass es dir gefällt. Ich biete mich gerne für eine Führung an. Und übrigens: Wenn Corana weiter abflaut, kann man eine Führung durch Gießerei die Noack machen, das scheint mir sehr interessant. Immerhin ist das ein Familienunternehmen, das bereits Ende des 19 Jhdts. gegründet wurde und für etliche sehr bekannte Künstler gearbeitet hat. Schau Dir ruhig mal deren Homepage an, finde ich durchweg spannend.
Oh, ich muß mal gucken, ich glaube, so was haben wir auch. Also, keinen ganzen Skulpturenpark, aber ein Stück … Ich geh bei Gelegenheit mal gucken.