Bei meinem letzten Urlaub in Portugal hat mich eines überrascht: die Portugiesen essen oft und gerne Kohl, und das in vielen Varianten und Varietäten. Kohl war für mich bislang eher der Inbegriff eines Gemüses, das in der deutschen Küche und, als Kapusta, in der unserer polnischen Nachbarn zum Einsatz kommt. Ja, ich weiß, auch die Ungarn schätzen ihren Káposzta, und vermutlich ist Kohl fester Bestandteil einer viel größeren Zahl von National- und Regionalküchen, als ich mir vorstellen kann.
Weit verbreitet ist in Portugal der Caldo verde, eine Kohlsuppe, die zu den sieben gastronomischen Wundern Portugals zählt. Der Kohl wird in dieser Suppe nicht bis zur Unkenntlichkeit zerkocht, vielmehr wird Wert darauf gelegt, dass der in feinste Streifen geschnittene Kohl bissfest bleibt. Und es muss eine besondere Kohlsorte verwendet werden, nämlich Couve galega, der wie die Suppe aus dem Norden Portugals stammt. Den soll es in Deutschland nicht geben, meint die portugiesische Freundin, er wächst – ähnlich wie Grünkohl – am Stamm, hat aber große, glatte oder nur leicht gekräuselte Blätter.
Das Foto hat mir Afra Evenaar zur Veröffentlichung überlassen. Danke.
Zurück in Deutschland beginne ich die Kohlforschung und treffe dabei auf den Markstammkohl (Brassica oleracea convar. acephala var. medullosa), mit dem der Couve galega eng verwandt ist. Ähnlich wie in Portugal wird er hauptsächlich als Viehfutter angebaut, nicht so aber in der Prignitz. Rund um Pritzwalk ist er ein wesentlicher Bestandteil des Knieperkohls, einer lokalen Spezialität aus Weißkohl, Markstammkohl und ein wenig Grünkohl.
Der Markstammkohl (links und rechts im Hintergrund) wächst auf dem Feld mannshoch.
Alle drei Sorten werden in feine Streifen geschnitten, dann gekocht (zwischen wenige Minuten und zwei Stunden, schwanken die Angaben der vor Ort Befragten), trockengeschleudert und dann für sechs Wochen einer milchsauren Vergärung unterworfen (wie Sauerkraut). Verkauft wird er in der Regel beim Erzeuger, lose aus dem Fass oder sterilisiert im Glas.
Ein Wintergericht, klar, und passend dazu gab’s am 17. November einen Bauernmarkt in dem Dorf mit dem schönen Namen Kuhbier, dem Zentrum des Knieperkohls („Nur in Kuhbier wird der prignitztypische Knieperkohl nach Originalrezept hergestellt“). Und so sieht er dann aus, wenn er auf dem Hof der Familie Schneider mit Kartoffeln und Kohlwurst auf den Tisch kommt:
Knieperkohl mit Kohlwurst bei Familie Schneider
Mir hat er gut geschmeckt, auch wenn die Säure beim ersten Bissen überraschend war. Noch besser finde ich das Gericht, wenn man die Kohlwurst um die lokale Lungenwurst ergänzt, die auf dem Bauernmarkt an zwei Metzgerständen angeboten wurde.
Dorfstraße 17, 16928 Groß Pankow OT Kuhbier
033983 70283
Tipp: Bei der Eingabe der Adresse in das Navi als Ort gleich Kuhbier eingeben, weil die Zahl der Dorfstraßen in Groß Pankow gegen unendlich zu tendieren scheint.
Ich wäre auch für Kohlwurst und Lungwurst. Kassler kann auch noch dabei sein und Bauchspeck und Bäckchenspeck und Grützwurst …
Das liest sich ja richtig gut und schaut auch gut aus.
Und bei Afra Evenaar scheint das mehr eine Wurst- und Fleischorgie zu werden, unter Beigabe von irgendwelchem Kohl, oder wie ?
Egal, die Kohlvielfalt im Winter gefällt mir besonders.
Als Nordlicht im Süden musst du ja sicher auf das eine oder andere „exotische“ (=von nördlich des Weißkohläquators stammende) Kohlgericht verzichten.
Ja leider. Es gibt zwar schon Grünkohl auf dem Wochenmarkt, aber manchmal in einem jämmerlichen Zustand. Da ist es besser zu verzichten und exotisches wie Knieperkohl ist von Kopfschütteln begleitet.
Eintauchen in die Kohlgeschichten, liest sich lecker…
und schmeckt auch so. Aber du kennst dich ja auch ganz gut aus in den Dingen, die man im weiteren Umland von Berlin so finden kann.
Huch, was es so alles gibt! Nie zuvor Knieperkohl gesehen und davon gehört/gelesen!
Ja, das ist sehr regional und – wie anscheinend alle Stammkohlgerichte – sehr norddeutsch.
Liest sich sehr lecker …
Angewandte Heimatkunde – und du kennst es etwa nicht?
Der Kohl in seinen Töpfen sieht herrlich aus! Mal wieder ein Artikel zum Naselangmachen.
Oh, sehr französisch: Der Kohl in seinen Töpfen klingt wie
Le rôti de veau avec ses légumes. Das adelt den Kohl!
Knieperkohl – nun kenne ich ihn auch. Ein schönes deftiges Gericht. Ich bekomme Appetit!
Portugiesische Familien haben sogar spezielle Kohlstreifenschneidemaschinen. Die Suppe hat mir gut geschmeckt – aber unseren Grünkohl finde ich zum Weglaufen.